Biografie zu Gertrud Arndt
Gertrud Arndt (1903 – 2000) war eine Pionierin in vielerlei Hinsicht. Die Bauhaus-Schülerin behauptete sich in den damaligen Männerdomänen: Design und Fotografie. Ihre Arbeiten in den Bereichen Fotografie, Designs und Textilkunst sprengten die Grenzen traditioneller Geschlechterrollen und stehen bis heute sinnbildlich für die Rebellion gegen Gender-Rollen. Diese Errungenschaft und ihr Erbe leben in ihren Werken und dem Einfluss weiter, den Gertrud Arndt auf nachfolgende Generationen von Künstlerinnen und Designerinnen hatte und hat. Heute noch hergestellte Entwürfe Gertrud Arndts sind Designklassiker, die nicht nur gut aussehen, sondern gleichzeitig einen Teil der Designgeschichte erlebbar machen.
Frühes Leben und Ausbildung (1903-1922)
Gertrud Arndt wird am 18. März 1903 in Ratibor, Oberschlesien – heute Polen – geboren. Ihr Interesse für Kunst und Design zeigt sich früh, sodass Arndt im Jahre 1921 nach ihrem Abitur für eine Ausbildung an die Kunstgewerbeschule, auch Hügelschule genannt, nach Erfurt wechselt. Hier beginnt ihre künstlerische Entwicklung, denn hier kann sie unterschiedliche künstlerische Ausdrucksweisen ausprobieren. Dabei entdeckt Arndt ihre Vorliebe für Fotografie, eine Unterart der Bildenden Kunst.
Fotografie und Gender-Rollen (1927-1933)
So machte sich Arndt in den späten 1920er Jahren einen Namen als Fotografin. Dabei lag ihr Schwerpunkt in dem Abbilden von Frauen und deren gesellschaftlicher Rolle, eine Thematik, mit der sie sich selber tagtäglich konfrontiert sieht. Ihre Arbeit ist geprägt von Offenheit und Unvoreingenommenheit gegenüber ihren Motiven als auch Neugier gegenüber der sich permanent weiterentwickelnden Technik der Fotografie. Durch innovative Techniken und Inszenierungen porträtiert Gertrud Arndt Frauen auf eine Art und Weise, die traditionelle Geschlechterklischees herausfordert und auch mit dem damaligen Anspruch an Fotografie brecht.
Die neue Frau
Als Werke aus dieser Periode gelten ihre 1929 entstandenen „Maskenporträts“. Die Serie an Fotografien zeigt Frauen, die mit abstrakten Masken posieren. Auf diese Weise soll die Vielschichtigkeit der weiblicher Identität herausgearbeitet und betont werden. Arndt: „Was ist man? Vielleicht hat man immer eine Maske. Irgendwo hat man immer einen Ausdruck, den man haben will. Das könnte man doch Maske nennen, oder?“ Auch ihre Fotoserie „Die Neue Frau“, im Jahr darauf, setzt sich mit der Veränderung der weiblichen Rolle in der Gesellschaft nach dem Ersten Weltkrieg auseinander und hält diese in Form von Foto-Portraits fest.
Geburtsstunde des Selfies
Heute sieht man überall Menschen mit Smartphones in ihren ausgestreckten Händen oder mit Handy-Stick bewaffnet, die Selfies von sich anfertigen. Zu Gertrud Arndts Zeit galt die Gestalterin als absolute Vorreiterin auf diesem Gebiet – die Erfinderin des fotografischen Selbstportraits, wenn man so will.
Das Bauhaus-Jahrzehnt (1923-1933)
Doch zuvor ist Gertrud Arndt ein Jahrzehnt lang Teil der Bauhaus-Bewegung. 1923 führt sie der Weg von Erfurt in das nur rund 23 Kilometer entfernte Weimar. Am Bauhaus – zuerst in Weimar, später in Dessau – absolviert Arndt eine dreijährige Ausbildung als Weberin, die sie mit einem Gesellenbrief beendet. In dieser Zeit entsteht der Bauhaus Teppich Nr. 1, der nur einmal in Jahre 1924 von ihr hergestellt und anlässlich des Bauhaus-Jubiläums 2019 von Designercarpets erstmalig in Lizenz geknüpft wird. Gemäß der originalen Wollmuster wird heute auf diese Weise auch der Bauhaus Teppich Nr. 2 gefertigt. Ihr berühmtes Knüpfwerk zierte seinerzeit das Arbeitszimmer des Bauhaus-Direktors Walter Gropius. Beide Teppiche werden von Hand gemäß den Anforderungen der Unikate Arndts geknüpft und sind im Original bei TAGWERC erhältlich.
Leidenschaft und Wissensdurst
Auch wenn sie mit ihren Webwerken Anerkennung erfährt, wendet sich Arndt, die eigentlich Architektin werden wollte, von „diese ganzen Fäden“ (O-Ton Arndt) ab, und der Fotografie zu. Arndt experimentiert mit verschiedenen Medien und entwickelt, getrieben von ihrer Leidenschaft für dieses Medium und geleitet von ihrem autodidaktischen Wissensdurst, eine eigenständige, fotografische Sprache, die sich über die Jahr weiterentwickelt.
Rolle der Frau
Am Bauhaus entstehen einige ihrer beachtetsten, fotografischen Werke wie 1927 das „Selbstporträt mit Kamera“, das sowohl ihre Fähigkeiten als Fotografin als auch ihre Identität als moderne Frau betont. „Bauhaus-Mädels“ aus dem Jahre 1928 ist eine Serie von Fotografien, die das Leben der Frauen am Bauhaus festhält. Damit trägt Arndt entscheidend zur Dokumentation des Bauhaus-Alltages bei, vor allem der Frauen, die den Spagat zwischen Studium und Alltag meistern und sich damit gleichzeitig gegen gesellschaftliche Konventionen durchsetzen müssen. Es sind Bauhaus-Kommulitoninnen wie Otti Berger, Lou Scheper-Berkenkamp, Alma Siedhoff-Buscher, Margarete Heymann, Anni Albers, um nur einige zu nennen. Zum einen ist sie eine dieser Frauen, zum anderen suchte Arndt eine Wirkungsstätte, nachdem sie 1927 den Architekten und Bauhaus-Meister Alfred Arndt ehelicht und mit ihm in eines der Bauhaus-Meisterhäuser in Dessau zieht.
Epoche der Flucht (1933-1945)
Bereits in den späten 1920er Jahren hat Arndt sich einen Namen als Fotografin gemacht, indem sie sich auf das Abbilden von Frauen und deren Rolle in der Gesellschaft spezialisiert. Der kreative Fluss wird jäh unterbrochen als das Bauhaus mit Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 geschlossen wird. Arndt, deren Arbeiten als entartet eingestuft werden, flüchtet mit Mann und Tochter Alexandra, die 1931 geborgen wurde, nach Schweden. Hier kommt 1937 Sohn Hugo zur Welt. In Schweden schafft sie es, ihre fotografischen Arbeiten fortzuführen und engagierte sich zudem in der hiesigen Kunstszene.
Zweite Lebenshälfte und Erbe (1945-2000)
Diese Erfahrung macht sich Arndt schließlich nach Ende des Zweiten Weltkrieges zunutze, als sie gemeinsam mit Ihrem Mann nach Deutschland zurückkehrt und den Wiederaufbau künstlerischer Institutionen vorantreibt. 1946 entsteht die Fotografie „Trümmerfrauen“, die die schwierige Nachkriegszeit und die Rolle der Frauen beim Wiederaufbau dokumentieren.
Lehrerin und Mentorin
Das Paar siedelt mit seinen beiden Kindern 1948 aus der sowjetischen Besatzungszone ins hessischen Darmstadt um und Arndt konzentriert sich auf die Vermittlung von Kunst an junge Generationen. Ihr Erbe umfasst also nicht nur ihre Webarbeiten und fotografischen Werke, sondern vor allem auch ihren Einfluss als Lehrerin und Mentorin aufstrebender KünstlerInnen. Neben dieser Lehrtätigkeit setzt Arndt in den Nachkriegsjahren auch ihre künstlerische Karriere fort. Bis zu ihrem Tod am 10. Juli 2000 in Darmstadt bleibt die 96-jährige Gertrud Arndt der Kunst verbunden und Teil der deutschen Kunstszene.
Designs
- 1924
Bauhaus Teppich Nr.1 - 1925
Bauhaus Teppich Nr.2
Fotografie
- 1929 – 1930
„Maskenportraits“ – Eine Serie von 43 Selbstporträts
Ausstellungen
- 1975
Retrospektive: Gertrud Arndt und das Bauhaus [ Bauhaus-Archiv, Berlin ]: Eine bedeutende Ausstellung über die Bauhaus-Ära - 1998
Die Neue Frau: Gertrud Arndt in den 1930er Jahren [ Museum für Fotografie, Leipzig ]: Eine Ausstellung, die ihre kritischen Arbeiten zu Geschlechterrollen präsentierte - 2002
Tableaux vivants [ Kunsthalle Wien ]: Ausstellung über Lebende Bilder und Attitüden in Fotografie, Film und Video - 2022
Fotografische Werke auf der 59. Biennale di Venezia